Der Murtner Olivier Curty von der Mitte-Partei präsidiert dieses Jahr die Freiburger Kantonsregierung. Seit bald 24 Monaten prägt die Pandemie die Arbeit des Gremiums, auch unter Curtys Präsidentschaft wird es darum gehen, das Beste für die Bevölkerung zu erreichen. Dafür baut Curty auf die diverseste Regierung, die der Kanton je hatte.
Freiburger Nachrichten, 03.01.2022
Im Gespräch mit den FN blickt Staatsrat Olivier Curty (Die Mitte) auf sein Präsidialjahr 2022.
Olivier Curty, sind Sie geimpft oder genesen? Ich bin geimpft. Genesen? Das weiss ich nicht sicher.
Wurmen Sie solche Fragen? Früher fragte man einfach «Wie geht es dir?».
Die Frage ist ja berechtigt. Die wird mir oft gestellt. Ich muss ja auch 20-mal am Tag das Zertifikat zeigen. Nein, das stört mich nicht.
Ein weiteres Staatsratsjahr unter Corona. Wie gehen Sie damit um, dass auch Ihr Präsidialjahr von der Pandemie beeinflusst wird?
Ich hätte es uns allen gewünscht, dass wir die Pandemie hätten als beendet erklären können. Dass wir ein neues Jahr, eine neue Legislatur, eine neue Präsidentschaft ohne Covid hätten beginnen können. Die einzige Gewissheit, die wir haben, ist, dass uns das Virus weiterhin begleiten wird. Nach einer ersten Frustration hat der Staatsrat angesichts der anrollenden fünften Welle wieder auf Kampfmodus geschaltet. Wir werden weiterhin gegen dieses Virus ankämpfen, auf der gesundheitlichen, der wirtschaftlichen, der sozialen und psychologischen Ebene, bis wir die Pandemie zusammen bewältigt haben.
In der Regel ist ein Staatsratspräsidium zwar eine anstrengende, aber zugleich auch angenehme Abwechslung vom nüchternen Politalltag. Doch ein Präsidium unter Corona ist wahrlich kein Schönwetteramt. Schlägt das nicht auf die Motivation?
Eine Präsidentschaft in einer Schönwetterphase ist einfacher und angenehmer. Gefordert ist die Politik jedoch speziell in einer Krise. Die Ansprüche der Bevölkerung und die zu lösenden Aufgaben sind essenziell. Es geht um die Gesundheit unserer Mitmenschen, um ihre wirtschaftliche Existenz, um ihr Wohlbefinden in einer noch nie da gewesenen Situation. Alles ist neu. Es gibt keine Unterlagen mit Patentrezepten, die unsere Vorgänger in einer ähnlichen Situation bereits angewendet haben. Ich stelle mich dieser Herausforderung mit viel Demut, aber auch mit Entschlossenheit und Energie.
In der Krise waren die Kantonsregierungen oft fremdbestimmt. Der Bund redete ihnen drein, die Bevölkerung äusserte ihre Bedürfnisse zum Teil vehement. Corona trieb Ihre Agenda an. Wie gehen Sie damit um?
Die Bewältigung der Krise hat unglaubliche personelle und finanzielle Ressourcen gefordert. Doch sie hat auch Kreativität, Resilienz und Solidarität an den Tag gelegt. Wir sind als Gesellschaft gewachsen. Der Druck auf die einzelnen Staatsräte war in gewissen Phasen enorm, aber dafür sind wir ja gewählt, um auch in anspruchsvollen Momenten zu bestehen, ruhig zu bleiben und jene Entscheide zu treffen, die für die Allgemeinheit am besten sind. Auch wenn uns die Krise alles abgefordert hat, habe ich darauf bestanden, auch die anderen strategischen Projekte und Legislaturziele weiter vorantreiben. Wir haben den Kanton trotz der Krise weiterentwickelt. In der Volkswirtschaftsdirektion haben wir ein fortschrittliches Energiegesetz, das einen wichtigen Beitrag gegen den Klimawandel leistet, und das neue Tourismusgesetz erarbeitet, wir hatten ein erfolgreiches Jahr in der Wirtschaftsförderung und bauen für 90 Millionen ein neues Berufsbildungszentrum. Da bin ich stolz auf meine Leute. Kurzum: Wir meistern die Krise, sie treibt uns nicht einfach vor sich her.
Corona verursacht auch eine gesellschaftliche Spaltung. Ist es Ihres Erachtens die Aufgabe des Staatsrats, die Brüche wieder zu kitten?
Ja, das ist Aufgabe der Regierung, aber auch jedes Einzelnen. Wir haben eine nie da gewesene Gesundheitskrise und müssen Einschränkungen beschliessen, um sie zu meistern. Diese einschränkenden Massnahmen haben weitere Probleme nach sich gezogen: soziale Spannungen, Hilflosigkeit und wirtschaftliche Existenzängste, die wiederum die Gesundheit des Einzelnen bedrohen. Mit dem neuen Legislaturprogramm will der Staatsrat nun in die Zukunft blicken. Ein neues Jahr bietet die Gelegenheit für eine neue Reise: Es ist der ideale Zeitpunkt, um gemeinsam den richtigen Kurs zu bestimmen. Dies ist die Reise, auf die der Staatsrat die Bevölkerung im Jahr 2022 mitnehmen möchte. Es wird ein Jahr im Zeichen der Zuversicht und der Erneuerung.
Sie sagten einmal in einem Interview, nach der Krise werde nicht wie vor der Krise sein. Wie haben Sie das gemeint?
Alte Gewissheiten werden infrage gestellt. Einzelne Berufe wird es in der jetzigen Form nicht mehr geben, oder sie verlieren stark an Bedeutung. Auf der anderen Seite setzen sich neue Berufe durch. Oder haben Sie schon mal von der Abfalldesignerin oder einem Offline-Therapeuten gehört? Wir -s arbeiten nicht mehr ausschliesslich am Arbeitsplatz, sondern dort, wo wir uns gerade befinden. Wenn Sie mir vor zwei Jahren gesagt hätten, uns würden die Intensivplätze in den Spitälern ausgehen, hätte ich gesagt: Unmöglich, wir sind wohlhabend und können uns das leisten. Heute müssen wir wichtige Operationen verschieben, weil uns das qualifizierte Personal fehlt oder es ausgelaugt und müde ist. Es geht aber auch um grundsätzlichere Fragen wie: Was ist unsere Rolle in dieser Welt? Was können wir vom Leben erwarten, von unseren Mitmenschen, vom Staat? Wir müs’sen einen sehr kritischen Blick auf die Konsumgesellschaft werfen. Wir haben endlich angefangen, vermehrt regional zu konsumieren. Denken Sie an die Kariyon-Gutscheine, die wir mit grossem Erfolg eingeführt haben. Unser Reiseverhalteri hat sich geändert, unsere Hab tung zur Umwelt, zur Medizin; vielleicht auch unser Verhältnis zum Staat.
Gehen wir weg vom Corona-Thema. Sie haben die Aufgabe, drei neue Ratsmitglieder zu integrieren. Wissen Sie schon, wie Sie das machen wollen?
Ich habe bereits bei der Direktionsverteilung spannende und offene Gespräche mit jedem einzelnen Staatsratsmitglied geführt. Auch die Entscheide sind in einer konstruktiven Atmosphäre verlaufen. Aber die Dynamik des Kollegiums wird sich sicher ändern. Meine Aufgabe wird es sein, mögliche Spannungen und Konflikte frühzeitig zu erkennen und mit den Betroffenen anzugehen. Die Schaffung einer erfolgreichen, dynamischen und kollegialen Equipe ist mir wichtig und teuer. Nur als Kollegium sind wir den Anforderungen der kommenden Legislatur gewachsen. Denn wenn das Geschirr mal zerschlagen ist, ist es schwieriger, es wieder zu kitten.
Noch nie war ein Staatsrat so divers, alle wichtigen politischen Kräfte sind in der Regierung vertreten. Vereinfacht Ihnen das die Arbeit?
Ich bin überzeugt, dass das ein Vorteil ist. Es kann schon sein, dass so eine Diskussion etwas länger dauert oder einmal etwas schwieriger wird. Doch wenn der Staatsrat dann entscheidet, haben wir das ganze politische Spektrum bereits einbezogen. Das hilft bei der Umsetzung. Ich freue mich auf diese Konstellation. Gut, ich hätte mir gewünscht, dass wir einen ausgeglicheneren Frauenanteil gehabt hätten. Ich habe sonst aber den Eindruck, dass wir eine schlagkräftige Equipe sind – wenn auch natürlich mit unterschiedlichen Ansichten, Erfahrungen und Hintergründen. Ich erhoffe mir, dass wir gemeinsam viele kreative, innovative und ausgereifte Projekte erarbeiten können.
Sie sind ja nicht primär Staatsratspräsident, sondern auch Volkswirtschaftsdirektor. Eine Direktion, die wegen der Krise nicht weniger, sondern mehr zu tun hat. Wie wollen Sie auf zwei Chefsesseln gleichzeitig sitzen?
Ich darf in der Volkswirtschaftsdirektion auf ein eingespieltes Team mit viel Erfahrung und Kreativität und grossem Arbeitswillen verlassen. Mein Vertrauen ist gross, und ich entscheide rasch und gerne, wenn dies gefragt ist.